Part II: Yoga-Teacher-Training auf Bali

Was ich fühlte, als der 9. November endlich da war? So genau weiß ich es selbst nicht mehr, es war ein bunter Potpourri aus Gefühlen.
Angst, nicht akzeptiert zu werden. Unsicherheit, was Falsches zu sagen, überspielt von einer lockeren Fröhlichkeit, um sich ja nicht zu tief in die Karten blicken zu lassen.

Bei unserer Begrüßung wurden wir von Wanda und Vicky sehr herzlich, aber auch distanziert begrüßt. Selten habe ich bei Menschen das Gefühl nicht zu wissen, was sie von einem halten, aber hier war es durchaus der Fall. Kam die Umarmung wirklich von Herzen oder war sie erzwungen, weil erwartet? Im Nachhinein waren meine eigene Unsicherheit und der Wunsch anerkannt zu werden die ausschlaggebenden Punkte für dieses Gefühl.

Völlig begeistert war ich von Anfang an von unserer Gruppe.
23 herzliche Frauen und ein mutiger Mann. Während wir um ein wunderschönes Blumenbild herum einen Sitzkreis bildeten, konnten wir uns gegenseitig beschnuppern. Der Reihe nach sollten wir die Gründe erzählen, warum wir da sind, wie wir auf das Training aufmerksam geworden sind. Ich erinnere mich noch genau an das, was die anderen sagten.
Und an Wandas Worte, als ob sie mich durchschaut hätte. Sagt das, was euch als Erstes in den Sinn kommt, denkt nicht zulange darüber nach. Denn genau das tat ich. Ich meine, wer würde das nicht tun? Vor allem wenn soviele vor einem an der Reihe sind? Und dann war da wieder das verschlossene Ich, der innere Kritiker. Was sage ich nur, ich will doch nicht mit der Tür ins Haus fallen. Was gebe ich preis, was behalte ich besser noch für mich? Bloß nicht zu sehr in die Tiefe gehen und sentimental werden.

Und so sagte ich so belanglose Dinge wie Job gekündigt, mich selbst am Suchen, perfekter Start für die Weltreise etc. Die wahren Gründe behielt ich für mich. Ich fühlte mich richtig schlecht, als bei den Personen nach mir alle Dämme brachen, weil sie sich trauten, Emotionen zu zeigen und ehrlich zu sein. Zum Abschluss des Tages kam ein Priester, der die Yoga-Shala reinigte und uns alle segnete. Es war eine sehr ergreifende Zeremonie und perfekte Abschluss dieses ersten, bereits sehr emotionalen Tages.

Ich weiß noch, wie ich abends erleichtert im Zimmer saß und mich über all die herzlichen, lieben Menschen freute, die mich die nächsten vier Wochen begleiten werden. Laut Wanda soll die erste Woche die anstrengendste werden, da wir sieben Tage am Stück praktizieren und dann erst ein freier Sonntag kommt.

Erst einmal freute ich mich auf die erste Einheit. In Silence starteten wir – wie übrigens jeden Morgen – um 7.30 Uhr mit Meditation, Pranayama und Mantren singen in der Yoga-Shala. Meistens war ich jedoch bereits um 7 Uhr vor Ort. Ich liebte die Energie, die in der Shala herrschte, die Ruhe, die mich umgab, sobald ich sie betrat. Dieses Gefühl von innerer Zufriedenheit.

Ob ich es schaffen würde, 45 Minuten ruhig zu sitzen? Dass das mein geringstes Problem war, merkte ich schnell. In dieser herrlichen Umgebung ließ ich mich auf das Ruhen meines Geistes, meiner Gedanken ein. Bis Wanda anfing, das Gayatri Mantra zu singen und in mir der erste Damm brach. Ich hatte Gänsehaut, fing an zu weinen, was mich einerseits freute, andererseits Angst machte. Wenn ich jetzt schon bei einem Mantra weine, was schlummert dann erst noch in mir?

Wenn unser Geist unruhig und zerstreut ist,
sind wir noch nicht bereit für den wahren Yoga.
Ein stabiler und ruhiger Geist ist das Fundament!

Auch die erste Yogaeinheit fing recht entspannt mit Jetlag-Yoga und einer so genannten Mondpraxis an. Diese soll helfen, den Geist zu beruhigen und zu stabilisieren. Die Asanas werden länger gehalten und mit der verlängerten Ausatmung gekoppelt. Vor allem für mich als Vata-Pitta-Typ genau das Richtige, um nicht aus dem Gleichgewicht zu geraten. Nach der Einheit hatten wir eine 90-minütige Pause, in der wir uns stärkten. Viele nutzten die Zeit für eine Dusche oder ein warmes Bad im Pool, für mehr reichte die Zeit nicht wirklich.

Den Geist zu verstehen, bedeutet,
sich selbst zu verstehen.

Am Nachmittag folgten sechs Stunden Theorie. Und die hatten es in sich. Nicht nur, dass unsere deutschen Hintern es nicht gewohnt sind solange auf einem harten Boden zu sitzen, sondern auch, weil der Unterricht zum Teil auf Englisch stattfand und ehrlich gesagt am Anfang auch alles wirr war, nichts Sinn machte. Ich meine, Anatomie ist so schon schwer zu verstehen, aber auf Englisch? Aber hey, man wächst mit seinen Aufgaben. Ich fühlte mich einfach nur überfordert von den vielen Begriffen. Und es machten sich schnell wieder Zweifel breit, ob ich die Prüfung packen würde. Ja ja, die lieben Selbstzweifel, sie machen mich oft ganz schön klein. Da war er wieder, der innere Kritiker.

Ein weiteres Highlight der ersten Woche war die Fullmoon Cacao-Zeremonie im Radiantly Alive, die wir als Gruppe (fast) geschlossen besuchten. Für mich war es die erste Zeremonie, dementsprechend hatte ich keine Erwartungen. Allein die Taxifahrt in die Innenstadt erinnerte an eine Klassenfahrt. Wir quetschten uns zu Siebt oder Acht ins Taxi und hatten das Gefühl, endlich mal raus zu dürfen, Ausgang zu haben.

Da wir recht früh im Yogastudio ankamen, hatten wir freie Sitzplatzwahl. Ein wunderschönes Blumenbild hieß uns willkommen. Wir bekamen eine kurze Instruktion und fingen an, Mantren zu singen. Irgendwann sollten wir nacheinander aufstehen, uns einen Cacao holen, daran riechen, ihn an die Lippen halten und dann trinken. Es war mein erster Raw-Cacao, sodass der erste Schluck gewöhnungsbedürftig war.

Als wir einen Blick aus dem Fenster warfen, sahen wir den Vollmond am Himmel. Danach gab es kein Halten mehr. Beim gemeinsamen Singen fingen die Mantren langsam an und wurden immer schneller, die Stimmung heizte sich mehr auf, sodass wir irgendwann aufstanden und tanzten. Bei Mantren weiß ich selten, was ich singe und ob ich es richtig singe. Aber darum geht es auch nicht. Sing einfach mit, sing das, was dein Herz fühlt und es wird richtig sein. Und das tat ich. Ich sang und tanzte wie noch nie in meinem Leben.

Yoga is the journey of the self
through the self to the self.

Bhagavad Gita

Im Anschluss gab es einige Spiele mit wechselnden Partnern, was sehr auflockernd war und man so auch einige der ca. 60 Menschen kennenlernte. Und zu unserer Überraschung folgte im Anschluss ein Ecstatic Dance. Schon viel von gehört, noch nie einen mitgemacht, aber der Wunsch war schon lange da. Und wenn nicht auf Bali, wo sonst?
Und es war unglaublich, sich der Musik komplett hinzugeben, sie zu spüren, zu fühlen ohne darauf zu achten, wie man wirkt, weil es allen im Raum egal ist, jeder nur mit sich beschäftigt ist. Ich fühlte mich frei, wild, glücklich, energetisiert und spürte etwas Unglaubliches in dem Raum. Als wir dann im Shavasana lagen, musste ich vor Glück weinen. Und als wir uns zum Abschluss alle in den Armen lagen und ein Abschlussmantra sangen, spürte ich tief in mir, dass ich diesen Abend nie vergessen werde, da er etwas in mir gelöst hat. Und auch für die Gruppe war dieser Abend bezeichnend. Wir sind so eng zusammengewachsen.

Die nächsten Tage waren ebenfalls sehr aufwühlend. Wir widmeten uns nun dem Chakrensystem und starteten eines morgens mit dem 1. Chakra, dem Wurzelchakra, und dem Element Erde. Wir begannen mit einer Gehmeditation vor der Shala. Barfuß versteht sich. Wir sollten die Augen schließen und die Verwurzelung der Füße mit der Erde, mit Mutter Erde spüren. Wie sie uns trägt, uns hält. Im Anschluss sollten wir den Blick nach innen richten, die Augen öffnen und mit den Affirmationen ,Ich bin genug, ich bin unterstützt, ich bin ein Kind Mutter Erde’ zurück zur Shala laufen.

Nachspüren! Foto: Ulrike Reinhold Photography

Und dann folgte, ich weiß nicht mehr, ob es der nächste oder übernächste Tag war, die dynamische OSHO-Meditation. Ich dachte mir erst, was soll da schon hochkommen, kam doch jetzt schon alles raus.

Doch weit gefehlt!
1. Phase: 10 Minuten
Wild atmen, schnaufen
2. Phase: 15 Minuten
Explodiere! Lasse alles raus, was raus will. Lache, weine, schreie!
3. Phase: 10 Minuten
Springe mit erhobenen Armen auf und ab und rufe dabei das Mantra HUH! HUH! HUH! 
4. Phase: 10 Minuten
Abrupter Stopp! Friere auf der Stelle ein, haargenau in der Position, in der du dich gerade befindest. Verweile in Stille, beobachte, was in dir passiert.
5. Phase: 15 Minuten
Sei ausgelassen! Feier dich selbst, dein Leben.

Was soll ich sagen… ich weiß nicht, wann ich das letzte Mal so herzzerreißend geweint habe. Geweint, geschrien, gelacht, wieder geweint.

Geschrien, weil ich eine gewisse Person vor mir sah und sie zur Rede gestellt habe.
Geweint, weil die unterdrückten Gefühle hochkamen.
Gelacht, weil ich gemerkt habe, dass ich eine Kämpferin bin, die ein tolles Leben hat und sich das alles selbst aufgebaut hat.
Am Ende der Mediation war ich fix und alle – und meine Augenbinde (wir alle sollten eine aufsetzen, damit wir uns richtig gehen lassen können) war komplett nass geweint.

Nach der OSHO-Meditation folgte endlich der herbeigesehnte erste freie Sonntag. Ich machte nicht viel. Pool, Massage, Lernen. Es war herrlich.

Yoga am Morgen in unserer wunderschönen Shala. Foto: Ulrike Reinhold Photography

Die zweite Woche war ähnlich intensiv – zumindest was die Inhalte anging. Der Montag startete mit einer Einführung in Ayurveda, die Wissenschaft des Lebens. Die Leiterin des Instituts in Ubud, eine Inderin, machte es einfach nur klasse und catchte mich komplett. Ich erfuhr etwas über die Doshas und was passiert, wenn sie nicht in Balance sind. Ich erkannte mich in meinem Konstitutionstyp total wieder. Ich hatte vorher schon eine Ahnung, aber wir machten auch noch einen Test, der es bestätigte. Ich bin Vata-Pitta. Und es ist unglaublich, wie sehr es zutraf, was ich bin, wenn ich nicht im Gleichgewicht, in Balance bin. Definitiv ein Thema, in das ich mich mehr einlesen möchte. Denn als Vata-Typ ist eine Weltreise nichts für mich, weil ich eigentlich Beständigkeit benötige. Wenn ich reise, muss ich also Dinge tun, die das Gleichgewicht wiederherstellen. Also nicht von Ort zu Ort hetzen, sondern mir Zeit lassen, mir Zeit für mich nehmen, eine Routine haben, nicht Zuviel wollen.

Chitta Vritti Nirodha: Yoga ist der Zustand, der eintritt, wenn die Gedankenwelt zur Ruhe kommt!

Ansonsten fing in dieser Woche alles langsam an Sinn zu machen. Wir gingen weiter das Chakrensystem durch, welches ich nach wie vor super spannend fand. Ich merkte, dass mein drittes Chakra, Solarplexus, ein kleines Arschloch ist, da ich sehr dazu neige, Dinge in mich hineinzufressen, die wiederum dieses Chakra aus dem Gleichgewicht bringen. Ich genoss jede Meditation und Yogastunde am Morgen, auch wenn wir nun bei dem Thema Sonne ankamen. Es wurde energetischer. Insgesamt war das Training in drei Teile – Mond, Sonne, Feuer bzw. Aware, Alive, Awake – aufgeteilt. Um bei einigen Themen mehr in die Tiefe gehen zu können, werde noch separate Blogartikel folgen.

In der dritten Woche merkte man langsam, dass es zu Ende geht. Wir unterrichteten viel, machten Sequencing, Adjustments etc. Ein Highlight war der Besuch eines Soundhealers. Die Shala verwandelte sich in ein Meer aus Instrumenten. Ich hatte Gänsehaut und war rund 90 Minuten in Schlaftrance. Es war Wahnsinn. Dann folgte am nächsten Tag der Besuch des Wassertempels. Ein Erlebnis, das sich nur schwer in Worte fassen lässt. Daher versuche ich es auch gar nicht erst.

Nach diesem Erlebnis war ich so dankbar, als der letzte freie Sonntag kam. Ich beschäftigte mich nicht mit Yoga, sondern gönnte mir eine Massage und gutes Essen. Ich war langsam echt fertig, soviel schwirrte mir im Kopf. Ich brauchte Zeit, um das alles zu verarbeiten.

Als dann die Prüfung kam, war ich gut vorbereitet, aber sobald sie vor mir lag – Blackout. Ich geriet in Zeitnot, las die Fragen nicht richtig, dachte zulange und zuviel nach. Die praktische Prüfung war ähnlich. Total aufgeregt. Auch wenn mein Feedback gut war, war ich selbst unzufrieden und zweifelte natürlich direkt an mir. Aber ich hab es gepackt!
Bei der Abschiedszeremonie sollten wir alle noch ein paar abschließende Worte sagen. Danach bekamen wir unser Zertifikat, das wir tanzend entgegennehmen sollten. So emotional, wie das Training begann, so endete es auch.

Um es mit einem Songtext von Macklemore wiederzugeben:
And we danced
And we cried
And we laughed
And had a really, really, really good time
Take my hand, let’s have a blast
And remember this moment for the rest of our lives

Wenn ich an die vier Wochen denke, denke ich nicht nur an die Reise zu mir selbst. Ich denke vor allem auch an die vielen tollen Seelen, die mich auf dieser Reise begleitet habe. An die tollen Gesprächen, die auch nach dem Unterricht abends beim Essen weitergingen. Vicky, die mit ihrer Herzlichkeit, ihrer Energie und Präsenz, einfach ihrem Sein dazu beitrug, dass wir uns wohlfühlten. Wanda, die eine unglaublich tolle Ausbildung kreiert hat. Sie hat mich zwar sehr getriggert, aber irgendwie gehört das doch auch dazu, oder? Schließlich will ich mich weiterentwickeln und aus meiner Komfortzone rauskommen. Sie hat einen Rahmen geschaffen, eine Atmosphäre, vor der ich nur meinen Hut ziehen kann. Ich hätte mir keine bessere Ausbildung wünschen können. Ich lebe Yoga on and off the mat.

Fazit: Remember who you are – so lautete das Motto des YTT. Ob ich mich daran erinnert habe, wer ich bin? Oh ja, und das nicht nur einmal. Wanda sagte einmal: Jeder sollte ein Yoga-Teacher-Training machen. Und dem kann ich aus tiefster Überzeugung zustimmen. Nicht nur, um sich selbst besser kennenzulernen oder besser gesagt wiederzufinden, sondern auch, um seine Yogapraxis auf ein neues Level zu heben. Yoga überhaupt erst einmal zu verstehen, aber auch um sensibler für andere zu werden und nicht sofort über Menschen zu urteilen.

Was haben mich die vier Wochen gelehrt und was sage ich jetzt, vier Wochen danach (ich schrieb diesen Text Ende Dezember 2019)?

Gelernt: Ich habe mich selbst besser kennengelernt. Gelernt, dass alte Wunden mich geprägt haben, Glaubenssätze mich geprägt haben. Gelernt, dass ich etwas wert bin, dass ich genug bin. Und das ich alles schaffen kann, was ich will.

Jetzt: Wir waren während der Ausbildung in einer Blase, die uns geholfen hat, aus unserer Haut zu kommen, wirklich alle Schichten, Hüllen fallen zu lassen. Doch der Alltag holt uns schneller ein, als uns lieb ist. Alte Gewohnheiten holen uns ein, wir sind auf einmal nicht mehr so entspannt, wie wir es waren, wir merken, dass wir in alte Muster zurückfallen. Was wir jedoch gelernt haben, ist die Tatsache, dass wir das Werkzeug haben, uns immer wieder in diesen Zustand zurückzuversetzen, unseren Geist zu beruhigen, damit die Gedankenwelt zur Ruhe komm.

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