Auf Deutschlands höchsten Berg

Als ich meinem Umfeld damals berichtete, dass ich alleine auf die Zugspitze wandern und eine Hüttentour machen wollte, sagten sie nur: „Du bist echt mutig!“

Mutig? Bin ich das? Empfand ich damals nicht so. Ehrlich gesagt hatte ich echt Muffensausen. Ich freute mich auf mein erstes Mal alleine in und mit den Bergen (die Wochenenden im Harz mal nicht mitgerechnet). Aber ich hatte auch Respekt. Dass es für viele mutig erscheint, alleine loszuziehen, war mir damals nicht bewusst.

Mut bedeutet nicht, keine Angst zu haben,
sondern es ist die Entscheidung, dass etwas wichtiger ist, als die Angst.

Ambrose Red Moon

Und so machte ich mich im August 2018 auf nach Garmisch Partenkirchen. Ich blieb nicht wie üblich die erste Nacht auf der Reintalangerhütte, sondern wanderte direkt zur Knorrhütte hoch, um am zweiten Tag auf die Zugspitze wandern zu können. Die zweite Nacht blieb ich ebenfalls in der Knorhütte, ehe ich am dritten Tag den Abstieg nach Ehrwald in Österreich machte. Es gibt viele Wege, die auf die Zugspitze führen. Für jeden ist die richtige Variante dabei.

Tag 1 – 19 km, ↑ 1300 Höhenmeter

Nach einer kurzen Nacht (ich fand kaum Schlaf und war aufgeregt) packte ich meine Siebensachen und marschierte um 6.45 Uhr los. Auf dem Weg zur Partnachklamm gingen mir wieder zig Fragen und Gedanken durch den Kopf.
Werde ich es schaffen? Wie sehr werde ich an meine Grenzen stoßen? Tu ich das hier wirklich? Oh ja, ich mach es wirklich. Scheiße.

In der Klamm angekommen marschiere ich ohne zu zahlen am Kassenhäuschen vorbei – die Klamm öffnet zwar um 6 Uhr, jedoch muss man erst ab 8 Uhr bezahlen.
Dann stelle ich auf einmal fest: Ich bin alleine, außer mir ist keine Menschenseele hier. Wahnsinn!! Normalerweise tummeln sich hunderte Menschen hier – doch ich darf das Spektakel in Ruhe genießen, kann stehenbleiben, wo ich will.
Nach der Klamm beginnt eine kurze Orientierungsphase. Doch es ist alles super ausgeschildert und so langsam bin ich mehr als motiviert. Ich fühle mich gut an diesem Morgen.

Kurze Zeit später schüttet es jedoch aus Kübeln und ich denke nur „Bitte, lass es nicht den ganzen Tag regnen.“ Nun treffe ich auch die ersten, die meinen Weg gehen. Ich lasse mich zurückfallen,
will die Ruhe genießen und nicht das Klackern ihrer Stöcker hören.

Kurz hinter der Bockhütte und somit nach knapp 2,5 Stunden mach ich – inzwischen im Trockenen – Rast an der Partnach. Ich genieße die Ruhe und kann es immer noch nicht fassen, was ich tue.
Gestärkt geht es nun etwas steiler bergauf, schließlich liegt die Reintalangerhütte auf knapp 1400 Metern. Auch die Landschaft verändert sich. Ging es vorher viel durch Wald, wird es nun karger.
Einst die Partnach begleitet einen des Weges. Das Rauschen ist mein Wegbegleiter.

Die Rauschen der Partnach begleitet einen entlang des Weges.

Auf der Hütte angekommen mache ich Pause. Jedoch klebt mein Shirt an mir, die Nässe kam von außen und innen – sodass ich mich entscheide weiterzulaufen. Dann mach ich lieber mehr Pausen beim Aufstieg.

Jetzt beginnt der Part, vor dem ich den meisten Respekt habe. Denn nun gilt es Höhe zu machen. Während die Reintalangerhütte auf 1400 Metern Höhe liegt, liegt mein Ziel auf knapp 2100 Metern – und man darf nicht vergessen, dass mir auch schon ein paar Meter in den Knochen stecken. Aber genug der Ausreden, ich muss mir nichts beweisen. Es ist egal, wielange ich brauche. Hauptsache ankommen!

Ich stelle mich auf das Schlimmste ein, doch nachdem ich mich warm gelaufen habe, finde ich den Aufstieg auf einmal halb so wild. Ja, er zieht sich, und man denkt am Ende „Wo ist bitte endlich diese Hütte?”, aber oft genug dreht man sich auch um und genießt die Weite, die Ruhe, die Sicht.
Letztere wird kurz vor Schluss so schlecht, dass ich querfeldein laufe,
da die Markierungen nicht mehr zu sehen sind. Dichter Nebel ist aufgezogen. In der Ferne höre ich andere Wanderer. Ein beruhigendes Gefühl zu wissen, dass da jemand ist – und ihre Stimmen weisen mir den Weg.

Und dann endlich – der Nebel lichtet sich und ich sehe sie – die Knorrhütte!
Angekommen! Und ein Blick auf die Uhr sagt mir „Du warst verdammt schnell!“ Es ist gerade mal 14 Uhr. Habe ich wirklich nur 7 Stunden inklusive Pausen gebraucht? Ich bin wahnsinnig stolz auf mich und betrete mit einem Dauergrinsen die Hütte.

Da es meine erste Hüttentour in Deutschland ist, bin ich etwas überfordert. Wo muss ich hin, was soll ich tun? Anscheinend bemerkt man meine Unsicherheit und zeigt mir den Weg zum Trockenkeller, wo ich meine Sachen aufhängen und mich waschen kann. Außerdem gibt es hier Hüttenschuhe, die man gegen die Wanderschuhe tauschen kann. Es sei denn, man hat seine eigenen dabei. Im Anschluss „checke“ ich ein. Ich habe Glück und erhalte das einzige, freistehende Bett in einem Sechs-Bett-Zimmer sowie Gutscheine für die Halbpension, die ich vorab gebucht habe.

Im Anschluss mache ich es mir im warmen Aufenthaltsraum gemütlich. Ein wenig ungewohnt ist es schon, denn ich bin die Einzige, die alleine wandert. Und somit auch am Anfang die Einzige, die alleine sitzt. Ich lese viel, bestelle mir einen wärmenden Tee und komme mit vielen ins Gespräch. Zum Abendessen gibt es ein Drei-Gänge-Menü. Suppe, Hauptgericht und Nachtisch. Viel zu viel für mich. Bereits um 21 Uhr verabschiede ich mich ins Bett und lerne kurz meinen Zimmergenossen aus Amerika kennen. Diese Nacht sind wir nur zu Zweit im Zimmer.

Tag 2 – 7 km, ↑ 850 Höhenmeter

Schöner kann der Tag nicht beginnen. Die Sonne lacht vom Himmel. Nach einem Frühstück, bei dem ich nichts herunterbekomme und ich somit eine gute Brotzeit für später schmiere, geht es los. Für die einen beginnt der Abstieg, für die anderen der Aufstieg zur Zugspitze. Die ersten vierhundert Höhenmeter sind zwar anstrengend, jedoch vollkommen machbar. Ich treffe Gemse und laufe viel alleine.

Nach den ersten Höhenmetern hat man zwei Möglichkeiten: ab Sonnalpin die Seilbahn nehmen oder man steigt vierhundert Meter über die sogenannte „Sandreiße“, ein Schotterhang, und den anschließenden mit Drahtseilen gesicherten Steig zum Gipfel.
Nun zählt kein falscher Ehrgeiz! Da ich mich jedoch fit fühle und mir meinen Berg, meinen Gipfel verdienen möchte, wage ich den Aufstieg.

Das letzte Stück zur Zugspitze hat es in sich.

Der Schotterhang langt mir meine volle Konzentration ab. Ein falscher Schritt, eine Unsicherheit – man will es sich nicht ausdenken.
Ein Schritt nach dem anderen, bloß nicht nach unten schauen – und Zack, auf einmal hab ich es geschafft. Schnell werden die Stöcker eingepackt, denn ab jetzt wird geklettert. Hierfür benötigt man kein Kletterset, denn man kann sich an einem Seil festhalten oder ohne Hilfe die Steine hochkraxeln. Es macht wahnsinnig Spaß – was auch an den zwei netten Männergruppen vor und hinter mir liegen könnte, mit denen ich mir den ein oder anderen Schlagabtausch liefere.

Irgendwann wird die Luft immer dünner und wir immer langsamer. Zeit, um sich mal umzusehen und einfach mal die Landschaft zu genießen.

Und dann ist sie da – die Zugspitze mit 2962 Metern ist zum Greifen nah, nur noch eine Treppe und man ist … zurück in der Zivilisation! Es ist laut, es ist turbulent – die Geräuschkulisse aus mehreren Sprachen überfordert mich regelrecht. Nein, ich will mir jetzt nicht den Moment kaputtmachen lassen. Keiner, der mit der Seilbahn hochgekommen ist, kann sich gerade vorstellen, was in einem vorgeht. Dass man weinen, lachen und schreien kann vor Stolz und Glück. Ich suche mir eine ruhige Ecke und atme tief durch.

Kurze Zeit später suche ich ein Restaurant auf, denn was ist ein Gipfel ohne Gipfelbier? Verdient hab ich es mir allemal. Und wen treffe ich wieder? Meine „Männer“. Wir sind nun eine Runde aus ca. 9 Leuten. Und neben einem Gipfelbier erhalte ich auch einen Gipfelschnaps aus einer geheimnisvollen Flasche, die rumgereicht wird – selbstgebrannt versteht sich.

Auf ein Bier folgt noch ein zweites und die Runde wird immer lustiger. Wieder bis zum Sonnalpin hinabzusteigen hatten wir nie in Erwägung gezogen, zu rutschig und nach zwei Bier zu gefährlich. Somit nehmen wir die Bahn.

Kurz schauen wir noch beim Gletscher vorbei und schmunzeln über die Freude der Menschen, die das erste Mal Schnee sehen. Dabei wird mir bewusst, wie selbstverständlich wir mittlerweile viele Dinge sehen. Sollten wir nicht auch lieber wie das kleine Kind sein und juchzend durch den Schnee laufen? Ja!

Noch mit ein wenig Bier im Schädel beginnt der Abstieg zur Knorrhütte. Auf der Hütte stoßen wir erneut mit Bier an. Jeder packt seine Brotzeit aus und es wird geteilt – schließlich möchte am nächsten Tag keiner mehr Reste ins Tal schleppen müssen. Der Abend endet früh, zu müde sind wir alle – aber auch glücklich, es geschafft zu haben. Da sehe ich auch gerne von ab, dass mein Zimmer inzwischen komplett voll ist. Und mit lauter Männern wird es keine angenehme Nacht.

Tag 3 – 12 km, ↑ 200 Meter, ↓ 1200 Meter
Mitten in der Nacht stehe ich auf, um auf Toilette zu gehen. Da es am nächsten Tag wieder schön werden soll, verlasse ich die Hütte und bin in diesem Moment unglaublich froh darüber. Der Sternenhimmel zieht mich in seinen Bann. Es ist unglaublich! Man kann sogar die Milchstraße sehen, da keine Lichter einer Stadt die Sicht vermiesen. Wahnsinn!
Mit meinen Männern breche ich auf, doch so langsam merke ich, dass ich Zeit für mich brauche. Daher lasse ich sie vorgehen und nehme mir Zeit. Außerdem hat mich nun der Muskelkater voll im Griff, alles ist etwas beschwerlich.

Innehalten, den Blick schweifen lassen und genießen!

Nach ca. einer Stunde erreiche ich das Gatterl, das die Grenze zwischen Österreich und Deutschland bildet. Langsam ist es vorbei mit der Idylle. Auch wenn die Landschaft atemberaubend ist, kommen einem nun viele Wanderer entgegen. Kein Wunder, lacht heute bereits frühmorgens die Sonne vom Himmel. Irgendwann erreiche ich die Ehrwalder Alm. Hier treffe ich auf bekannte Gesichter. Gemeinsam trinken wir noch ein Abschiedsbier, ehe wir zusammen ins Tal wandern, wo sich unsere Wege trennen. Ich bleibe noch eine Nacht in Ehrwald. Ich checke in meinem Hotel ein und bewege mich ab 16 Uhr nicht mehr.

Fazit: Die Zugspitze ist kein schöner Gipfel. Der Weg ist das eigentlich Schöne. Mir wurde wieder mal bewusst, wie gut es tut, ab und zu seine Komfortzone zu verlassen und dass man dafür belohnt wird. Ich bin nicht nur über mich selbst hinausgewachsen und habe neues Selbstvertrauen gewinnen können, sondern wurde auch einen Teil meines Weges von unglaublich netten Menschen begleitet.

Ich habe geflucht, geschwitzt, gelacht und hätte am liebsten vor Freude geweint – diese Erfahrung kann mir niemand mehr nehmen und ich bin so unglaublich stolz auf mich!

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